Gegenwind für Baerbock und Habeck: Die Grünen zwischen Macht und Moral (S+)

Die Parteispitze macht Fehler, die Basis rebelliert und in den Ländern zeigt sich, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Was bleibt eigentlich von den grünen Idealen, wenn sie regieren Die SPIEGEL-Titelstory. (S+)

           

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Annalena Baerbock hat ein Interview gegeben (das auch auf ihrer Homepage online ist), in dem sie einen Teil ihres Wahlprogramms erklärt. Ich greife mal eine Frage heraus, die mich auch beschäftigt, weil sie die Realität in meinem Wahlkreis berührt:

So fragt der Journalist: „Wie teuer wird für eine Krankenschwester, die mit ihrem Verbrenner zur Klinik pendelt, eine Kanzlerin Baerbock?“

Frau Barbock antwortet: „Das heißt, Menschen, die jetzt kein Geld für ein neues E-Auto haben, werden wir unterstützen. Ich will, dass die Einnahmen aus dem CO2-Preis als Energiegeld an jede Bürgerin und jeden Bürger zurückfließen. Außerdem bekommt die Krankenschwester finanzielle Hilfe, damit sie sich ein E-Auto leisten kann. Und wir wollen die Strompreise senken.“

Mal ganz abgesehen davon, dass wir durch die Abschaltung der Kernenergie schon jetzt weltweit die höchsten Strompreise haben, sähe das in der Realität so aus:

Ein kleines Elektroauto, sagen wir mal ein Opel Corsa, kostet in seiner Elektroversion rund 30.000 Euro. Wenn wir uns an der Abwrackprämie von 2009 orientieren, bekäme unsere Krankenschwester also 2500 Euro vom Staat geschenkt, um sich ein solches Auto kaufen zu können. Sie müsste also „nur“ rund 27.000 Euro selber aufbringen. Wenn sie in Lütjenburg wohnt und in Kiel arbeitet, pendelt sie am Tag rund 80 Kilometer. Der Corsa-e hat eine angegebene Reichweite von 330 Kilometern – bei idealen Bedingungen und mit neuem Akku. Im Winter, wenn sich die Reichweite um bis zu 30 Prozent verringert, muss das Auto also jeden zweiten Tag für mindestens sechs Stunden an die Ladestation.
Eine einfache Marktrecherche (beim ADAC) zu Ladestationen ergibt: „Für das Laden zu Hause empfiehlt sich eine Wallbox (je nach Ausführung bis zu 1200 Euro; bis elf kW), dreiphasiges Laden bis elf kW kostet 1190 Euro Aufpreis. Dann soll der Akku im Idealfall in 5:15 Stunden wieder gefüllt sein.“

Das gilt natürlich nur für jene, die über ein eigenes Haus verfügen. Wohnt man, wie wahrscheinlich viele Krankenschwestern, in einem Mehrfamilienhaus, klappt das mit dem Laden schonmal nicht. Dasselbe gilt auch für den Parkplatz am Krankenhaus.

Ich frage mich: haben sich die Grünen auch nur einmal ernsthaft Gedanken über die Lebensrealität auf dem Land gemacht? Klar, der grüne Besserverdiener mit dem Landhaus und dem Elektro-SUV muss sich da nicht viele Sorgen machen. Unsere Krankenschwester schon!




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